Die Verflechtung einer Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, – an der vor allem die zeitgenössische Kritik Anstoß nahm –, mit den Konstellationen des Kalten Krieges, die in Form zweier Männerfiguren auftreten, steht in Robert Neumanns Roman Festival im Zentrum. Dabei dient ihm der Handlungsschauplatz, das Filmfestival in Locarno (Tessin, Schweiz) dazu, die mit zahlreichen erotischen Szenen erzählte Geschichte in ein globales gesellschaftliches Umfeld einzubetten, dessen politische Implikationen von den bi-polaren Spannungen des Systemkonflikts bis in die Tage der Résistance und des Maquis während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich zurückreichen.
Der Roman erzählt mit der Geschichte von Marguerite Fleury, einer lothringischen Französin aus dem Elsass sowie zweier Männer und ehemaliger Anhänger der Résistance, die stellvertretend für die beiden Seiten des Kalten Krieges stehen, eine verwickelte Dreiecksbeziehung. Der eine, Gaston Fleury, ein Großindustrieller, hat seine Karriere im Westen vorangetrieben. Er avanciert nach dem Zweiten Weltkrieg zum „Controlleur“ der beschlagnahmten Industrie und zum Verwaltungsrat der „Sociéte Franco-Allemande de Commerce d’Acier“. Als einflussreicher Wirtschaftsmagnat hat Gaston zahlreiche Verwaltungsratsposten in Frankreich und Deutschland inne, investiert in eine Privatbank und finanziert gelegentlich sogar Filme. Der andere, der gebürtige Pole Kostja, steigt im Osten zum hohen parteipolitischen Funktionär auf. Zu Kostja unterhielt Marguerite in den Tagen ihres Engagements in der Résistance eine Liebesbeziehung, sie heiratet jedoch Gaston, da Kostja in den letzten Tages des Krieges von der Gestapo verhaftet wird und sie von seinem Tod überzeugt ist.
Die Handlungsstränge des Romans sind durch die Aufzeichnungen von Marguerite und den Tagebuchaufzeichnungen Ginas, Marguerites Geliebten, miteinander verwoben. Gina, die einen Gelegenheitsjobs als Hostess im Grandhotel in Locarno ausübt, wird von Marguerite damit beauftragt, über ihr Hotelzimmer zu wachen sowie ihre Post und Telefonate in Empfang zu nehmen. Während die Liebesbeziehung zu Gina für Marguerite nur eine weitere Affäre ist, wird sie für Gina zu einem Bruch in ihrer Biographie. Der Text deutet an, dass sie zuletzt vermutlich sogar den Freitod wählt.
Siebzehn Jahre nach ihrer Trennung kommt es 1961 auf dem Filmfestival in Locarno zu einem Wiedersehen zwischen Marguerite und Kostja. Während für Marguerite kein Zweifel besteht, dass dieser die Reise um ihretwillen unternimmt (sie bereitet überstürzt eine Übersiedelung nach Polen vor), hat Kostja einen anderen Grund, den Kontakt zu ihr wieder aufzunehmen. Er hofft sich mithilfe von Marguerites Ehemann in den Westen absetzen zu können, denn im Zuge der zunehmenden Ent-Stalinisierung nach 1956 hat Kostja seinen hohen Funktionärsposten verloren. Für Marguerite hat die Liebe zu Kostja die lange Zeit der Trennung überdauert und sie über persönliche wie sexuelle Enttäuschungen ihrer Ehe hinweg gerettet. Aufgrund dieser verschiedenen Voraussetzungen bringt das Treffen mit Kostja für Marguerite ein tragikomisches Scheitern mit sich.
Kostjas geplanter Überlauf findet seine spiegelbildliche Entsprechung im Plan von Marguerites Ehemann Gaston, der ebenfalls auf die ihm gegenüberliegende ideologische Seite wechseln will und auf den Einfluss Kostjas hofft, um ihm eine Stellung in Moskau zu verschaffen. Personifiziert durch die beiden Figuren treten die absurden Spiegelverhältnisse der beiden Seiten des Kalten Krieges zutage. Der überraschende und offene Ausgang des Romans ist auch stellvertretend für Neumanns Position während des Kalten Krieges zu verstehen. Als Vizepräsident des internationalen P.E.N.-Clubs nahm er stets eine vermittelnde Position ein und plädierte für einen Dialog zwischen den beiden Seiten.
Zitierbar als: Stefan Maurer: Robert Neumann, Festival (1962). kk-diskurse.univie.ac.at