Institut für Germanistik

Gamillscheg, Felix: Die Getäuschten. Roman einer Gefangenschaft (1961)

Graz, Wien [u.a.]: Styria 1961. (im Text als GT mit fortlaufender Seitenzahl zitiert)

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Die Handlung des Romans Die Getäuschten setzt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, im April 1945 ein und schildert detailliert die Erfahrungen ehemaliger Soldaten der Deutschen Wehrmacht in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Orte der Gefangenschaft sind zunächst ein Lager in Usman (Zentralrussland) und schließlich ein Lager in den „Weiten der Sowjetunion“ (GT 77), in der Region Woronesch. Die erzählte Zeit umfasst 1945 bis 1954, also insgesamt neun Jahre. Während die Gefangenschaft, die von Mai 1945 bis Oktober 1947 andauert, als ein großer Teil österreichischer Kriegsgefangener aufgrund von Verhandlungen mit der Sowjetunion nach Österreich zurückkehren konnte, auf über 300 Seiten entfaltet wird, kommt der Rückkehr ins „neue“ Österreich weniger als 60 Seiten zu, die stark zeitraffend erzählt sind.

Die Hauptfigur des Romans ist Fritz Büheler, ein junger Leutnant der Deutschen Wehrmacht, ein Österreicher, der während des Krieges an der Front gekämpft hat. Auch nachdem der Krieg verloren ist, bekennt er sich zunächst noch zu Hitler und zum „Dritten Reich“. Sein Weltbild, das vom Nationalsozialismus geprägt ist, wird aber angesichts der Realität – so erfährt Büheler etwa von den Konzentrationslagern, die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht bleiben aber unerwähnt –, zunehmend brüchig und ruft nach ideologischer Neuorientierung. Eine zentrale Rolle bei diesem Prozess kommt seinem Mitgefangenen, dem patriotischen und katholischen Jellinek zu, einem „bewussten“ Österreicher, der Büheler mit einem Österreich-Bild vertraut macht, welches in der unmittelbaren Nachkriegszeit prägend war und die Entpolitisierung durch Konzentration auf „überzeitliche“ Werte, wie Natur oder kulturelle Errungenschaften, legte. Zentrale Diskursfäden, die im Roman immer wieder aufgegriffen werden, sind der Antikommunismus und der Katholizismus, vor allem letzterer „vollendet den Prozeß der Selbstfindung und Neuorientierung“ (GT 128), den Büheler durchläuft. Diesen Diskursen kam während des Kalten Krieges zentrale Bedeutung zu, um die Souveränität und Selbständigkeit Österreichs gegenüber den Besatzungsmächten zu stärken: „Österreich, kleines Land, das zum erstenmal wirklich an seine Existenz zu glauben schien. Glaubte es wirklich daran? Muße es nicht daran glauben, nachdem das eine Ideal versunken, das andere zerbrochen war?“ (GT 312)

In die Nachkriegszeit, in der Büheler ein Studium beginnt und sich mit den neuen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Österreich einrichtet, fällt auch eine kurze Episode, die den sogenannten „Oktoberstreik“ 1950 behandelt, der als kommunistischer Putsch interpretiert wurde.

Zitierbar als: Stefan Maurer: Felix Gamillscheg, Die Getäuschten. Roman einer Gefangenschaft (1961). kk-diskurse.univie.ac.at

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