Institut für Germanistik

Valencak, Hannelore: Die Höhlen Noahs (1961)

Wien: Wollzeilen Verl. 1961.

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Die Handlung des Romans, an dem Valencak seit 1953 arbeitete und der den vorläufigen Titel Feuer auf steinernem Herd trug, ist in einer postapokalyptischen Welt angesiedelt, in der sich die Erde im Zuge einer Atombombenexplosion in einen Wüstenplaneten verwandelt hat. Nur ein einziges Tal ist noch bewohnbar, wo fünf Menschen sich in einem Höhlensystem über ein Jahr vor der Strahlung schützen konnten und nach dieser Frist ein Leben als Bauern und Hirten führen. Wie es zu der Katastrophe kam, wird nicht näher beschrieben, es wird nur erwähnt, dass ein Krieg begonnen worden war. Bei den letzten Überlebenden handelt es sich um einen betagten Lehrer, der nur „der Alte“ genannt wird, dessen ältliche Magd Maria, seine Enkelin Luise, sowie um die junge Frau Martina und ihren kleinen Bruder Georg, die als Flüchtlinge mit dem Soldaten Stefan in die Höhle gekommen sind. Stefan ist zum Zeitpunkt der Handlung nicht mehr am Leben. Martina, die in ihn verliebt war, glaubt an die Ermordung Stefans durch den Alten. Dieser Mord wird mit der alttestamentarischen Erzählung der Ermordung Abels durch Kain parallelisiert. 

Ähnliche Parallelisierungen wie jene der Höhlen mit dem Schiff Noahs, der Wiederbelebung Georgs durch den Alten mit der Schöpfungsgeschichte und die Wissbegier und Zweisamkeit von Georg und Luise mit dem Sündenfall von Adam und Eva stellen keine Bezüge auf ein affirmiertes christliches Weltbild dar; vielmehr bedeutet die Apokalypse durch den Atomkrieg einen radikalen Bruch mit diesem Weltbild. Der Schöpfer ist in der ‚neuen’ Welt ein fehlbarer Mensch, der die Rollen von Gott und Kain gleichermaßen spielen kann. Der Alte figuriert in dieser Welt der fraglich gewordenen Werte die Instanz, welche die Illusion der unhinterfragbaren Weltordnung weiterhin aufrecht erhalten möchte – zumindest für die anderen, denn er selbst ist sich des Ausmaßes der physischen und moralischen Katastrophe des Atomkrieges voll bewusst. Insbesondere seine Enkelin möchte er aber vor diesem Wissen schützen und unterrichtet sie und ihren Altersgenossen Georg in einem primitiven Geisterglauben, der mit Tabus und Ritualen durchsetzt ist, welche einem Hinterfragen des so entworfenen und vermittelten Weltbildes entgegenwirken sollen. Dadurch soll Luise vor dem Wissen über die Unsicherheit und Verletzlichkeit des menschlichen Lebens geschützt werden und zugleich sollen mögliche weitere Generationen daran gehindert werden, die Erfahrungen der gegenwärtigen Generation zu wiederholen.

Während die Magd Maria einen extrem passiven Frauentypus darstellt, wird mit Martina ein Unruheherd innerhalb der Handlung geschaffen. Martina gibt Wissen über Sexualität an Luise und Georg weiter, stachelt die beiden zur Hinterfragung der Regeln und Erklärungen an, die der Alte installiert hat und erreicht schließlich, dass die jungen Menschen den Wüstenplanet zu sehen bekommen, der sie umgibt. Mit diesem Wissen obliegt die Entscheidung zur oder gegen eine Fortpflanzung ihnen selbst. Martina, die sich dafür entscheidet, bringt ein Kind von Georg zur Welt, dessen Charakter als ambivalent dargestellt wird. Der Roman spricht sich für die Entscheidungsfreiheit angesichts einer radikal aufgeklärten Weltsicht aus, die dem Zerstörungspotential der Menschheit und den fehlenden Sicherheiten des Lebens ins Gesicht sieht.

Der Alte bekämpft diese Freiheit, indem er Martina mit Gift und mit einer Axt zu töten versucht, jedoch versehentlich Maria erschlägt. Nach der Geburt des Kindes gelingt es ihm, Martina zu töten, jedoch hält Georg ihn davon ab, auch das Kind zu erschlagen. Der gebrechliche Alte stirbt bei dem Kampf. Übrig bleiben drei Menschen und die offene Frage nach einer Ethik der Selbstverantwortlichkeit im Atomzeitalter, die für Frauen und Männer, junge und alte Menschen in gleicher Weise gilt.

Zitierbar als: Doris Neumann-Rieser: Hannelore Valencak, Die Höhlen Nohas (1961). kk-diskurse.univie.ac.at

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