Institut für Germanistik

Torberg, Friedrich: Die zweite Begegnung (1950)

Frankfurt/M.: Fischer 1950.

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In Friedrich Torbergs Die zweite Begegnung, erschienen 1950 im Fischer Verlag, sind der Einmarsch der Deutschen Wehrmacht 1939 sowie der sogenannte „Februarputsch“ 1948 in Prag, bei dem die KPČ die Macht in der Tschechoslowakei übernahm, zentrale zeitgeschichtliche Ereignisse, entlang denen sich die Handlung des Romans entfaltet. Der Protagonist Martin Dub wird nicht nur zur Flucht vor dem nationalsozialistischen als auch dem kommunistischen Regime, sondern auch zur Reflexion über diese beiden totalitären Systeme gezwungen. In seinen Tagebucheintragungen, dem ideologischen Kern des Romans, die Martin in Form einer eigens erfundenen Stenographie niederschreibt, die an einigen Stellen des Textes eingeschoben werden und seine politische Entwicklung nachvollziehbar machen sollen, parallelisiert er die beiden totalitären Systeme, indem er ein Gleichheitszeichen zwischen „braun“ und „rot“ setzt. Nicht nur Martin, auch Torberg forderte politisches Engagement gegen jede Form der Diktatur – ein Diktum, welches Torberg ab 1954 wirkungsmächtig in seiner Zeitschrift Forvm, den „österreichische Monatsblättern für kulturelle Freiheit“ weiterverfolgen würde.

Während die Ereignisse bis 1945 retrospektiv in geraffter Form erzählt werden, darunter Martins Jugend, seine Sozialisation als sozialdemokratischer Journalist und Intellektueller, die Flucht nach Paris, wo er sich freiwillig zur Tschechoslowakischen Exilarmee meldet und die Rückkehr 1945 ins befreite Prag, setzt die eigentliche Handlung drei Wochen nach der kommunistischen Machtübernahme ein. Martin, der sich im Untergrund vor den neuen Machthabern versteckt hält, trifft seine Jugendliebe, die Tänzerin Wera Kirsanowa wieder, die ihn diesmal begleiten will, obwohl sie sich 1939 zu einer gemeinsamen Flucht nicht entschließen konnte und mit einem hohen kommunistischen Funktionär verheiratet ist.

Problematisch gestaltet sich die Flucht insofern, als sein langjähriger Freund Jan Dvorsky, der sich inzwischen der Kommunistischen Partei angeschlossen hat, Martin zum Eintritt in die KP überreden bzw. seine Flucht verhindern will. Schlussendlich gelangen Martin und Wera über die bayerisch-tschechoslowakische Grenze in die Freiheit.

Der Roman dient Torberg vor allem dazu, seine Thesen über das Verhältnis der Literatur und Politik zu postulieren sowie Kritik am Kommunismus stalinistischer Prägung zu üben. Er bedient sich dazu der durch den Kalten Krieg vorherrschenden Bi-Polarität von Freiheit und Diktatur, in deren Spannungsfeld das Individuum im Zeitalter des Totalitarismus gerät. Inhärent ist dem Text eine Totalitarismuskritik en miniature, verpackt in Martins Tagebucheinträgen. Während er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs die Sowjetunion noch als Verbündeten gegen den Faschismus akzeptiert, ist ihm der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 bereits ein erstes Indiz für die Wesensidentität der beiden totalitären Systeme, die ihm mit dem kommunistischen Putsch 1948 in der tschechoslowakischen Republik bestätigt wird. Vom Genre her betrachtet hat Torberg in Die zweite Begegnung sein politisches Statement in die Form eines Liebes- und Unterhaltungsromans mit Kitsch-Elementen gegossen.

Zitierbar als: Stefan Maurer: Friedrich Torberg: Die zweite Begegnung (1950). kk-diskurse.univie.ac.at

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