Institut für Germanistik

Neumann, Robert: Die Puppen von Poshansk (1952)

München: Desch 1952. (im Text als PP mit fortlaufender Seitenzahl zitiert)

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Die Puppen von Poshansk ist der letzte auf Englisch verfasste Roman Robert Neumanns. Im Original trägt der Text den Titel Insurrection in Poshansk. Poshansk ist ein fiktives Dorf im real existierenden Kolyma-Gebiet, welches mit Temperaturen unter 40° Celsius lebensfeindliche Bedingungen, aber auch ein reiches Goldvorkommen beherbergt. Neumann nimmt sich hier einem der brisantesten Themen des Kalten Krieges an: Er verhandelt in satirischer Weise, die teilweise durch dokumentarisches Material aufgebrochen wird, die Existenz der sowjetischen Zwangsarbeitslager, der Gulags. 

Dieses Thema war bereits seit den 1930er Jahren ideologisch und vor allem während des Nationalsozialismus, der die Berichte über die Gulags zu Propagandazwecken instrumentalisierte, ideologisch aufgeladen. Für Neumann gab die Beschäftigung mit dem Kalten Krieg, die Begegnung mit der Gulag-Überlebenden Elinor Lipper sowie deren Erlebnisbericht Elf Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Lagern (1950), der, ebenso wie Forced Labour in Soviet Russia (1947) von David J. Dallin und Boris J. Nicolaevsky, gleichsam ein Subtext des Romans ist, den Ausschlag für das Verfassen des Romans. Der Text ist jedoch nicht aus der Perspektive eines Augenzeugen geschrieben und bietet keine Identifikationsfiguren; auch das Lager selbst wird nie Schauplatz der Handlung. Vielmehr tauchen Gefangene auf und berichten über die dort herrschenden menschenverachtenden Zustände. Programmatisch heißt es in der einleitenden Beschreibung des Dorfes Poshansk: „Das Lager war nicht sichtbar; es lag im Sumpf, jenseits des Flusses.“ (PP 8)

Die Handlung des Romans rückt den gescheiterten US-Präsidentschaftskandidaten und Industriellen Walter M. Watkins, der sich während des Zweiten Weltkrieges, auf einer „Good-Will“-Tour durch die Sowjetunion befindet, die ihn auch nach Poshansk führt, aber auch die Bewohner des Dorfes Poshansk sowie ehemalige Häftlinge des Lagers in den Mittelpunkt. Watkins wird von einer offiziellen Delegation begleitet, die u. a. aus dem Parteifunktionär Bebitz, einem sowjetischen Beamten für Außenhandel und dessen Verlobter Ursula Tobbogen, die als Dolmetischerin fungiert, besteht. Der Vater der linientreuen Kommunistin Ursula, ist der alte Bolschewik Toboggen, dem zu Revolutionszeiten eine zentrale Rolle zukam und der während der Säuberungen verurteilt und zur Haft im Arbeitslager verurteilt wurde und nun vor Watkins als Zeuge der „Menschlichkeit“ des stalinistischen Systems auftreten muss. Angesichts seiner Liebe zu Ursula ist Watkins jedoch mit vollkommener Blindheit gegenüber dem repressiven sowjetischen System sowie der Arbeitslager geschlagen; er verschläft sogar einen Aufstand der Häftlinge, der bald im Keim erstickt wird. Diese Blindheit von Watkins und die daraus resultierende Gleichgültigkeit, aber auch die Abgebrühtheit der sowjetischen Machthaber, wie etwa des Lagerkommandanten Borodin, kontrastieren die als unmenschlich und grausame geschilderten Zustände, die der Roman beschreibt. Bis ins Groteske reicht Neumanns Satire, die die Kluft zwischen sowjetischer Rhetorik und der Realität expliziert, indem sie Kontexte bis zur Widersprüchlichkeit ihrer Inhalte verschiebt. Darüber hinaus montiert Neumann Stellen aus Lippers Bericht in den Text, um seiner Satire ein Moment des Dokumentarischen zu verleihen. Der Roman verdeutlicht, dass in der Sowjetunion ein rigides Unterdrückungssystem herrschte, in dem jeder Bürger konterrevolutionärer Absichten verdächtigt wird und somit jederzeit selbst Opfer einer Deportation in den Gulag werden kann.

Zitierbar als: Stefan Maurer: Robert Neumann, Die Puppen von Poshansk (1952). kk-diskurse.univie.ac.at

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