Institut für Germanistik

Merz, Carl/Qualtinger, Helmut: Marx und Moritz oder Das Geheimnis der Büste. Ein west-östliches Hindernisrennen in einem Startschuß und fünf Teilstrecken (ca. 1958)

Musik: Gerhard Bronner; Gesangstexte: Gerhard Bronner; Hans Weigel. Wien: Sessler Typoskript.

Textporträt herunterladen

Das kabarettistische Bühnenwerk mit Musik wurde im Intimen Theater in Wien am 29. März 1958 uraufgeführt. Die Handlung parodiert das Spionagedispositiv und das Spionagegenre, wobei zugleich ein Bild des ‚gemütlichen’ Österreich propagiert und als Gegensatz zu den internationalen Geheimdiensten präsentiert wird. Auch gegen kommunistische Staaten und die KPÖ wird polemisiert, wobei nicht nur die Machthaber des Sowjetregimes ins Visier genommen werden, sondern auch eine heute geschmacklos bis problematisch wirkende Karikatur der Osteuropäer als faul, ungebildet und in ärmlichsten Verhältnissen lebend vorgenommen wird.

Die Handlung beginnt mit dem Treffen eines kommunistischen Auftraggebers mit einem seiner Agenten namens Moritz, von dem er selbst nicht weiß, ob er den Codenamen M 38 oder M 27 trägt. Probleme im Umgang mit Geheimcodes und Chiffrierungen sind ein gängiges Mittel zur Parodierung des Spionagegenres und eines von vielen Beispielen, die im Text angewandt werden, um das Agententum lächerlich zu machen. 

Moritz wird beauftragt, das ‚Geheimnis der Marx-Büste’ zu lüften. Der kommunistische Staragent Nikolasch verstarb und hinterließ im Bezug auf seinen aktuellen Fall nur den Hinweis auf eine Marxbüste, die sich bei seinem Sohn befinden soll. Moritz findet diesen Sohn, Ante Analfapetrowitsch, der das Grandhotel Moskito in Jugoslawien führt, wo er zwar eine Marxbüste findet, diese birgt aber kein Geheimnis. Er erfährt, dass ein Bruder Analphapetrowitschs namens Donald Mac Egghead Senator in den USA ist. Auch dieser besitzt eine Marx-Büste, die von Moritz unter kuriosen Umständen untersucht wird, wobei zahlreiche Gags auf Kosten des Agenten, aber auch der unterschiedlichen Landsmänner eingestreut werden. Wieder erweist sich die Büste als inhaltslos und Moritz erfährt von einem weiteren Sohn Nikolaschs. Dieser lebt in der Sowjetunion und trägt den Namen Kyrill Lenin (Trotzkij / Stalin / Beria) Opportunow. Den Vaternamen ändert er mit den jeweiligen Machthabern. Wieder werden zahlreiche kritische Witze angebracht, die sich auf die schlechte wirtschaftliche Lage der Sowjetunion, den drakonisch strafenden Polizeistaat und die ideologische Selbstbeweihräucherung des Regimes beziehen. Auch Kyrills Marx-Büste löst das Geheimnis nicht.

Seit Jugoslawien wird Moritz von Draga, einer vormaligen, unzufriedenen Angestellten von Analfapetrowitsch begleitet, der er einen falschen Pass verschafft hat. Die beiden sind jedesmal enttäuscht, wenn sie von einer neuen Marx-Büste erfahren, da Moritz als Agent keine persönlichen Beziehungen eingehen darf. Dadurch wird das Happy-End, das traditionell oft durch ein glückliches Paar gekennzeichnet ist, ständig hinausgeschoben und ein Spannungsbogen geschaffen, der nicht nur den Ende des Falls und die Aufdeckung des Geheimnisses, sondern das Ende von Moritz’ Agententätigkeit zum Ziel hat. 

Vorerst muss er aber noch eine Reise in die Schweiz zu Heiri Nüssli, einem Skihüttenbesitzer angetreten und schließlich der letzte Bruder, Ferdinand, Besitzer des Café St. Marx in Wien aufgestöbert werden. Bei dieser Gelegenheit wird die Assoziation Wiens Mit dem Film Der dritte Mann parodiert. Die Marxbüste im Café St. Marx enthält tatsächlich das Testament Nikolaschs, in dem er seinen Söhnen neben einer Million Schilling das Geheimnis vermacht, wie man im internationalen Geheimdienst erfolgreich ist: indem man mit der Gegenseite konspiriert und Informationen austauscht. Durch die vielen verstreuten Halbbrüder wird außerdem klar, dass der Staragent viele Frauenbekanntschaften gepflegt hat. Schließlich stellt sich heraus, dass die vermeintlichen Söhne Nikolaschs in Wirklichkeit Söhne des Westagenten Lupescu sind, der ihm somit immer einen Schritt voraus war – freilich nicht im Bereich der Informationsbeschaffung. Durch diese Darstellung wird der Sinn von Spionage insgesamt in Frage gestellt und stattdessen der Sinn von Liebesbeziehungen und Familiengründung betont. Moritz zieht sich dementsprechend auch aus dem Spionagegeschäft zurück und schmiedet mit Draga Familiengründungspläne.

Neben der allgemeinen Diskreditierung von Spionage werden die Großmächte sowie weitere Schauplätze oder Nebenschauplätze des Kalten Krieges Gegenstand der Parodie. Viele Details des Textes verweisen punktuell auf spezifische Diskurselemente und Diskurse des Krieges in Österreich. So wird die KPÖ mit der Sowjetunion parallelisiert oder es werden die von kommunistischen Organisationen initiierten Sowjetreisen kritisiert.

Zitierbar als: Doris Neumann-Rieser: Carl Merz/Helmut Qualtinger, Marx und Moritz oder Das Geheimnis der Büste (ca. 1958). kk-diskurse.univie.ac.at

Institut für Germanistik | FWF-Projekt „Diskurse des Kalten Krieges“ (Projektnummer P 22579-G20)  | Universität Wien  | Universitätsring 1  | A-1010 Wien