Institut für Germanistik

Kühnelt, Hans Friedrich: Die Optimisten. Schauspiel in 8 Bildern (1977)

Wien, München: Thomas Sessler Verlag 1977. (im Text als OP mit fortlaufender Seitenzahl zitiert)

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Es existieren mehrere Versionen dieses Theaterstücks. Bereits 1965 spricht der Autor in einem Interview von einem Drama mit dem Titel Die Optimisten. Der Thomas-Sessler-Verlag bewahrt zwei unterschiedliche Manuskripte, mit der Datierung 1972 bzw. 1977 auf. Das Stück blieb bisher unaufgeführt. Die Struktur und der Wortlaut der beiden Versionen differieren in einigen Passagen, die politische und philosophische Stoßrichtung ist aber weitgehend dieselbe; nur die christliche Komponente ist in der früheren Version stärker.

Die Dramenhandlung ist in einem Hotelrohbau angesiedelt, in dem die Gäste unter lebensfeindlichen Bedingungen wie schlechter und unzureichender Nahrung, Kälte oder Hitze und ständiger Absturzgefahr leben. Eine bestimmte Quote an Todesfällen ist in der Führung des Hotels einkalkuliert. Erst im letzten Bild ist das Hotel fertig gestellt und wird dann in der Regieanweisung mit einem „Schlachthaus“ oder „Operationssaal“, „Kälte“ und „Glätte“ (OP 2) assoziiert.

Die Gäste sind Bürger eines fiktiven totalitären Staates, der Staat sei „durchsozialisiert“, jedoch werden Kommunisten „ausgemerzt“ (OP 7). Der Staat wird von einer anonymen Regierung mittels Computertechnologie regiert. Trotz der Anonymisierung der Macht herrschen strenges Hierarchiedenken und Machtgläubigkeit, was durch die Konvention des Salutierens vor einem leeren Denkmalsockel symbolisiert wird. Die Bürger erhalten Nummern, mit denen sie angesprochen werden und Lochkarten, durch welche ihr Lebensweg bestimmt wird. Sie tragen eine bestimmte Uniform, während die Beamten der Hotelpolizei, welche „Hausfreunde“ genannt werden, militärisch anmutende Uniformen tragen und Waffen besitzen. Im letzten Bild sind sie als Kellner gekleidet, üben aber weiterhin Überwachungsfunktionen aus.

Die Bürger dieses Phantasiestaates nennen sich „Optimisten“, was an den Zwang zur Behauptung der Zufriedenheit mit den Zuständen geknüpft ist, wobei die lebensfeindliche Umgebung und die geheuchelte Zufriedenheit einen krassen Widerspruch bilden.

Die totalitäre Führung arbeitet auch mit psychologischen Mitteln wie der „Seelenwäsche“ (OP 38) (ähnlich einer öffentlichen Beichte, dient aber auch der Abreagierung) und der Therapie durch die „Seelenfreunde[...]“ (OP 15) (Elektroschocktherapie). Gegen dieses Regime bildet sich eine Untergrundbewegung, die im „Mann von oben“ oder „77“ eine Anführerfigur findet. Diese Figur lehrt den Gästen Solidarität und Zusammenhalt, ebenso wie Tricks, um die Überlebenswahrscheinlichkeit des Einzelnen zu erhöhen. Der Hoteldirektor, der es als seine Aufgabe sieht, die Optimisten von eigenständiger Aktivität abzuhalten und durch die schlechten materiellen Bedingungen für Mutlosigkeit zu sorgen, vermutet in den Veränderungen, welche durch den heimlichen Unterricht der Hotelgäste durch den „Mann von oben“ entstehen, Sabotage. Besondere Bedeutung gewinnt „77“ für „611“, die Tochter der Familie, die im Fokus der Handlung steht. „611“ fühlt sich durch einen unsichtbaren Beschützer geborgen und ist dadurch wirklich optimistisch, ohne freilich den Staat dafür verantwortlich zu machen. Sie wird prompt in die Psychiatrie geschickt. Der sichtbare „77“ ist für sie zwar ein Freund, die Quelle ihres Glücks bleibt aber unsichtbar (Religion).

Der Hoteldirektor ist erzürnt über die materiellen Verbesserungen, die sich abzeichnen. Damit steht er aber allein. Ein Umsturz findet statt, bei dem alle Hotelangestellten mitwirken. Neuer Hoteldirektor wird aber nicht „77“, sondern der bisherige Empfangschef, der eine neue Linie der Regierung fährt, die materielle Versorgung, ja sogar Überfluss, gewährleistet. In der Version von 1977 wird dieser Überfluss zu einem neuen Mittel der Entmachtung des Einzelnen und „77“ wird, zusammen mit „611“, verhaftet. In der Version von 1972 sind die Hotelgäste zunächst nicht an den Wohlstand gewöhnt und lehnen ihn ab. Als allerdings „77“ aus nicht näher erklärten Gründen in den Tod stürzt und zudem auch der Alte im Keller, der „vom lieben Gott“ (OP 33) erzählt, verschwunden ist, fügen sie sich in die neue, nicht mehr durch physischen Mangel gekennzeichnete Abhängigkeit.

Zitierbar als: Doris Neumann-Rieser: Hans Friedrich Kühnelt, Die Optimisten. Schauspiel in 8 Bildern (1977). kk-diskurse.univie.ac.at

 

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